DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR PSYCHOLOGISCHE SCHMERZTHERAPIE UND -FORSCHUNG E.V.

AKUTER UND CHRONISCHER SCHMERZ

Akuter Schmerz – Attackenschmerz – chronischer Schmerz

Als „bellender Wachhund der Gesundheit“ macht Schmerz uns darauf aufmerksam,
dass irgendwo im Körper etwas nicht stimmt: Er zeigt uns, wo Reizungen, Wunden
oder Entzündungen entstanden sind und ob sie sich möglicherweise ausbreiten.
„Dieser Schmerz ist kein Gegner, sondern ein Helfer.

Solche akuten Schmerzen empfinden wir zum Beispiel bei Zahnweh,
Verstauchungen, Prellungen, Schnittverletzungen, Sonnenbrand oder Muskelverspannungen. In der Regel klingen akut auftretende Schmerzen von selbst ab, sobald die auslösende Ursache geheilt und beseitigt worden ist.

Der Attackenschmerz kehrt dagegen in unregelmäßiger Folge wieder, etwa in Form von Migräneanfällen, Spannungskopfschmerzen, Gesichtsschmerzen
oder Rückenschmerzen. Solche Attackenschmerzen warnen nicht so sehr
vor akuten Schädigungen, sondern eher vor einer länger dauernden oder wiederkehrenden Überbelastung des Organismus. 

Dass viele Menschen lang anhaltende oder häufig wiederkehrende Schmerzen erleiden müssen, hat zwei Ursachen:

  1. Eine Vielzahl von chronischen Erkrankungen ist mit Schmerzen für die Betroffenen verbunden, wie z.B. bei rheumatischen Leiden, Diabetes oder Tumorerkrankungen.
  2. Schmerz kann selbst zu einer Erkrankung werden, auch wenn eine körperliche (somatische) Ursache nicht oder nicht mehrvorhanden ist, und hat damit die biologisch sinnvolle Warnfunktion verloren.

Nach übereinstimmender Meinung aller Fachleute wird chronischer Schmerz heute als eine eigenständige Krankheit betrachtet. Eine solche scheinbar „grundlose“ Erkrankung belastet die Patienten und ihre Angehörigen besonders schwer. Dies wird noch dadurch verstärkt, dass das soziale Umfeld auf die unerklärbaren Schmerzen oft mit Unverständnis reagiert; rasch werden die Betroffenen mit Sätzen wie „Der simuliert doch nur“ oder „Das ist doch reine Einbildung“ belegt.

Welche Ursachen kommen für chronische Schmerzen in Frage? Man weiß inzwischen, dass starke und länger andauernde Schmerzen weiterleitende Nervenzellen sensibler für Schmerzreize machen. Die Folge ist, dass selbst leichte Reize wie Berührung, Wärme oder Dehnung plötzlich als Schmerz empfunden werden.

Auf diese Weise entsteht ein sich selbstverstärkender Mechanismus, sozusagen
eine Schmerzspirale, die zu einer weiteren Schmerz-Überempfindlichkeit (sekundäre Hyper-algesie) führt. Unter Umständen senden diese sensibel gewordenen Nervenzellen auch dann Schmerzsignale ans Gehirn, wenn aus der Peripherie kein Signalstrom mehr eintrifft. Was als akuter Schmerz begann kann sich auf diese Weise zu einem chronischen Schmerz entwickeln.

Diese zunehmende Sensibilisierung findet nicht nur in den weiterleitenden Nervenzellen statt sondern auch im Rückenmark sowie im Gehirn. Manche Forscher sprechen (etwas vereinfachend) von einem Schmerzgedächtnis (oder „Schmerz-Engramm“), das von akuten Reizen eingeprägt wird und das auch dann bestehen bleibt, wenn die eigentlichen Schmerzursachen bereits beseitigt oder verringert sind.

Erforscht wird heute, warum Schmerzen bei manchen Menschen chronisch werden, bei anderen dagegen nicht, selbst wenn beide Gruppen ein vergleichbares Krankheitsbild aufweisen. Neben einer genetischen Veranlagung sind vor allem psycho-soziale Faktoren nachgewiesen, d.h., dass psychische Faktoren einen Einfluss darauf haben, ob und wie stark sich eine Schmerzerkrankung ausbildet. Es ist bekannt, dass Menschen mit psychischen Vorerkrankungen, z.B. Depressionen, Ängste stärker gefährdet sind als psychisch gesunde Personen. Auch soziale Faktoren wie das familiäre Umfeld und die berufliche Situation spielen eine wichtige Rolle. 
Autor: Hans-Günter Nobis