DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR PSYCHOLOGISCHE SCHMERZTHERAPIE UND -FORSCHUNG E.V.

Imaginative Techniken

Erfahrungen bildlich in Erinnerung zu rufen und sich etwas vorstellen zu können, gehört zu den mentalen Fähigkeiten, die den gesamten Alltag eines Menschen durchweben. Bei jedem Gespräch und auch bei vielen Handlungen tauchen Bilder vor dem inneren Auge auf, denen man mehr oder weniger Aufmerksamkeit schenkt. Sportler wissen seit langem, dass sie ihre Leistungen mit inneren Bildern trainieren können und nutzen diese Ressource intensiv. Der Wissenschaftler Antonio Damasio  hat sich u.a. intensiv mit den Prozessen und Auswirkungen von bildlichen Vorstellungen (Imaginationen) des Menschen beschäftigt. Er beschreibt, dass während der Vorstellung eines Menschen im Gehirn die gleichen Prozesse ablaufen, die zu beobachten sind, wenn dieser Mensch das, was er sich vorstellt, wirklich erlebt. Die Vorgänge scheinen nur schwächer zu sein. Während wir rasch ein Bild der eigenen Haustüre vor unser inneres Auge rufen können, so braucht es Anleitung und Übung eine Imagination so anzuwenden, dass sie unmittelbar Einfluss auf das gegenwärtige Schmerzerleben nimmt. Jedoch liegt gerade für Menschen, die dauerhaft unter Schmerzen leiden, eine Chance darin, die Melodie des Schmerzes neu kennen zu lernen und sie für eine gewisse Zeit beeinflussen und verändern zu können. Häufig sieht es zu Beginn einer psychologischen Schmerztherapie so aus, als gäbe es nur einen Ton in der Wahrnehmungsmelodie und der heißt: „Schmerz“. Der Scheinwerfer der Aufmerksamkeit ist so fest auf diesen Schmerz gerichtet, dass der Patient nichts Anderes wahrnehmen kann. Eine Patientin sagte, dass sie jeden Morgen nach dem Wachwerden als erstes schaut, was der Schmerz heute sagt. Sie schaut ängstlich nach innen und macht immer wieder die Erfahrung: „Er ist schon da.“ Mit der Schmerzerwartung wird das Erleben von Schmerz begünstigt. Aber es gilt umgekehrt auch, dass allein die Vorstellung von Heilung - über den so genannten Placeboeffekt - zu einer Schmerzabnahme führt. Hier hilft die Vorstellung von Linderung um Selbstheilungskräfte zu aktivieren oder eine veränderte Aktivität im Gehirn hervorzurufen. Oft sagen Patienten, dass sie erst durch die Schmerzerkrankung gelernt haben auf ihre inneren Bilder und Vorstellungen zu achten.

Wie werden imaginative Techniken in der Schmerztherapie eingesetzt?

Wenn wir uns einem Arzt oder einem nahen Menschen mitteilen wollen, wird klar, einen Schmerz  mit einfachen Worten zu beschreiben ist nicht leicht. Viele Menschen nutzen daher Sprachbilder: „Es fühlt sich an, als würde jemand mit einem Messer in meinen Rücken stechen!“ Wenn der Schmerz über ein solches Bild einmal beschrieben wurde, so kann diese Metapher zu dem Erleben des Schmerzes - mit allen Zwischentönen, die das Bild in sich trägt - lange nachwirken. Über die wiederkehrende Vorstellung wird der Schmerz erwartet und wiederholt ins Erleben gerufen. In der Schmerztherapie mit imaginativen Techniken gibt es grundsätzlich zwei Richtungen, das gegenwärtige Erleben zu verändern:

  1. Vom Schmerzerleben - aufwärts - ins mentale Bilderleben (Bottom-up)
  2. Vom Bilderleben - abwärts - ins körperliche Schmerzerleben (Top-down)

1. Vom Schmerzerleben zum Bilderleben (Bottom-up)

Unsere Vorstellungskraft bestimmt, welche Körperwahrnehmung klar und intensiv wahrgenommen wird und was im Hintergrund verschwindet. Wie bei einer Kamera gleichen unsere Vorstellungen einem Filter, der das Gesamtbild der Wahrnehmung bestimmt. Das ist ein aktiver und höchst individueller Vorgang, den wir in jedem Moment gestalten, wenn wir wahrnehmen. Diese Vorstellungen tragen auch dazu bei, dass ein Mensch Schmerzen stark, ohnmächtig, verzweifelnd erlebt und am anderen Tag  hoffend und fragend eine leichte Linderung des Schmerzes empfindet. In der Therapie  mit Imaginationen (Bottom-up) gehen wir von dem Schmerzbild aus, welches im Moment vorherrschend ist, auch wenn die diagnostische Bildgebung dieses Schmerzmodell nicht bestätigen kann. Ein einmal gefundenes Bild zum eigenen Schmerzmodell, z.B. „Es fühlt sich an, als sei ein Nerv eingeklemmt“, wirkt mit allen Sinnen nach. Denn genau diese intensive Vorstellung verstärkt das Erleben. Um neue Bilder zu (er-)finden ist es hilfreich, sich dem Schmerz achtsam mit imaginativen Fragen zu nähern. Die Therapeutin bittet Sie dann z.B. sich eine Landschaft, eine Farbe oder auch ein Motiv zum Schmerz vorzustellen und zumeist machen Sie die Erfahrung, dass Sie gar nicht lange nachdenken müssen, welche Landschaft Sie nehmen, sondern ein Bild rasch auftaucht. Indem Sie das Vorstellungsbild während der Imagination in Worte fassen, werden Gefühle und Gedanken sichtbarer, die sich über die Zeit hinweg zum Schmerz hinzugesellt haben. Indem Sie ihre „inneren“ Vorstellungen kennen lernen, kommt es zu einer verbesserten Wahrnehmung des Körpers und der Gefühle. Sie werden die Erfahrung machen, dass Sie über Imaginationen die körperliche Empfindung, ihre Gedanken und Gefühle besser unterscheiden und auch besser regulieren können. Gleichzeitig wird über den Therapieprozess deutlich, welche Beziehung Sie zu Ihrem Schmerz haben und wie zum Beispiel Ohnmacht den Schmerz deutlich verstärkt. Wenn ein Schmerzpatient mehr Bewusstheit über die eigenen Vorstellungen zum Schmerz gewinnt und er neue Imaginationen erprobt, kann er sich dem Schmerz gegenüber anders verhalten. Über diese Erfahrung und ein Auflösen der Ohnmacht verändert sich der erlebte Schmerz und neues Bewältigungsverhalten wird möglich.

2. Vom Bilderleben zum Schmerzerleben (Top-down)

Imaginationsübungen mit positiven Bildern  sind mehr als nur eine Übung zur Entspannung. Sie bieten die Möglichkeit ein Erleben aufzurufen, welches über die Schmerzerkrankung vielleicht sehr in den Hintergrund getreten ist, aber nicht gelöscht wurde. Es sind Ressourcen, die jeder Mensch besitzt. Die Therapeutin wählt zur Einleitung einer Imagination ein Motiv, welches zu Ihren ganz eigenen Ressourcen passt. Sie fordert Sie vielleicht auf, sich für einen Moment auf die Atmung zu konzentrieren. Indem Sie das tun, lenken Sie den Scheinwerfer der Aufmerksamkeit vom Schmerz weg hin zur Atmung. Diese kann ein erstes Gegengewicht zum Schmerz sein. Auch wenn der Schmerz stärker ist, ist es möglich, die Bewegung der Atmung wahrzunehmen. Danach entscheiden Sie, ob Sie die Augen schließen mögen oder nicht. Eine Imagination ist auch mit geöffneten Augen möglich. Es kann hilfreich sein, die Muskulatur etwas zu lösen und zu entspannen, aber auch das ist nicht zwingend. Dann bittet die Therapeutin, dass Sie z.B. das Bild eines Ortes vor Ihrem inneren Auge aufrufen, an dem Sie sich wohl und geborgen fühlen. Wenn Sie den Ort eine Weile in der Vorstellung betrachten, wird er vollständiger und es entwickelt sich ein Erleben mit allen Sinnen. Sie nehmen wahr wie es dort riecht, ob es kalt oder warm ist und was es dort zu hören gibt. Sie können den Ort nach Herzenslust erkunden und ihn nach eigenen Vorstellungen verändern, bis sie sich wohl und geborgen fühlen. Viele Patienten, die unter Schmerzen leiden, beschreiben, dass sie während einer Imagination mit positiven Bildern keinen Schmerz wahrnehmen. Auch wenn dieser Zustand nicht gleich von Dauer ist, so ermöglicht die Imagination mit positiven Bildern eine Unterbrechung der Dauermelodie des Schmerzes. Wenn es mit Hilfe von Imaginationen gelingt, schmerzverstärkende innere Bilder zu verändern und einen Zugang zu eigenen Ressourcenbildern zu finden, so lässt sich über diese therapeutische Arbeit die Lebensqualität von Schmerzpatienten dauerhaft verbessern.

Autorin:  Kornelia Gees