DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR PSYCHOLOGISCHE SCHMERZTHERAPIE UND -FORSCHUNG E.V.

FIBROMYALGIE-SYNDROM

Chronische Schmerzen in mehreren Körperregionen, oft Rücken, Armen und Beinen, sind häufig. Die Diagnose „Fibromyalgie-Syndrom“ (FMS) wird aber erst gestellt, wenn neben den ausgedehnten Schmerzen der rechten und linken Körperseite sowie des Ober- und Unterkörpers weitere Symptome hinzukommen. Dies sind ein Steifigkeits- oder Schwellungsgefühl der Hände oder der Füße, Müdigkeit, Erschöpfung, Konzentrations- und Schlafstörungen. Alle Symptome müssen über einen Zeitraum von mindestens drei Monaten vorliegen. Häufig besteht zusätzlich eine Überempfindlichkeit für Schmerzreize, manchmal auch für Geräusche, Gerüche oder Medikamente. Früher wurde die erhöhte Schmerzempfindlichkeit über Druckpunkte, so genannte Tender Points, überprüft. Heute ist das Erfassen dieser Schmerzpunkte für die Diagnosestellung nicht mehr zwingend erforderlich. Die meisten Patienten mit Fibromyalgie-Syndrom sind Frauen.

Ursachen

Die Ursache des Fibromyalgie-Syndroms ist nach wie vor ungeklärt. Man weiß nur so viel: Es handelt sich nicht um eine entzündlich-rheumatische Erkrankung. Und: Auch wenn die Schmerzen in den Muskeln empfunden werden, ist das Fibromyalgie-Syndrom keine Erkrankung der Muskeln, Sehnen und Gelenke. Entsprechend zeigen sich auch weder Veränderungen in den üblichen Laboruntersuchungen noch Auffälligkeiten im Röntgenbild. Man spricht heute von einem „Syndrom“, weil zwar ein typisches Beschwerdebild, aber kein eindeutig definiertes Krankheitsbild vorliegt.

Als Ursache wird heute unter anderem eine funktionelle Störung der Schmerzverarbeitung im Gehirn diskutiert. „Funktionell“ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass typische Beschwerden vorhanden und diese nicht eingebildet sind.

Es ist möglich, dass Veränderungen kleiner Nervenfasern (sogenannte „small fibers“) für bestimmt Untergruppen eine Bedeutung bei der Entstehung des FMS haben. Solche Befunde konnten nicht bei allen Patientinnen mit FMS nachgewiesen werden. Es ist auch unklar, ob die beschriebenen Mechanismen zur Entstehung des FMS beitragen oder Folgen des FMS sind. Sie kommen auch bei anderen Schmerzerkrankungen vor.

Beim FMS ist die Funktion der Schmerzverarbeitung verändert. Die Schmerzhemmung vom Gehirn hinunter zum Rückenmark ist vermindert. Dies resultiert in einer erhöhten Schmerzempfindlichkeit und Ausbreitung der Schmerzen.

Fibromyalgie-Patienten zeigen im Vergleich zu Gesunden eine stärkere Aktivierung der Schmerzzentren im Gehirn, wenn sie einen gleich starken, leicht schmerzhaften Testreiz erhalten. Sie reagieren also verstärkt auf Schmerzreize, was als Hyperalgesie bezeichnet wird. Somit haben Fibromyalgie-Patienten eine niedrigere Schmerzschwelle, sodass normalerweise nicht schmerzhafte Reize als schmerzhaft empfunden werden - ein Phänomen, das Allodynie genannt wird.

Inzwischen weiß man, dass sozialer Stress und frühere reale Schmerzerfahrungen eine Rolle in der Schmerzentstehung spielen können. Als Risikofaktoren für die Entwicklung eines Fibromyalgie-Syndroms gelten neben körperlichen Faktoren auch das Gesundheitsverhalten sowie psychische und soziale Faktoren.

Folgende Faktoren können die Entstehung des FMS begünstigen:

  • Entzündlich-rheumatische Erkrankungen
  • bestimmte Genveränderungen
  • Vitamin D Mangel
  • Rauchen
  • Übergewicht
  • Mangelnde körperliche Aktivität
  • Körperliche Misshandlung und sexueller Missbrauch in Kindheit
  • sexuelle Gewalt im Erwachsenenalter
  • Depressive Störungen

Fibromyalgie-Patienten leiden sehr häufig (40–80%) zusätzlich an psychischen Erkrankungen wie einer Angststörung oder Depression oft als Folge der chronischen Schmerzen. Diese psychischen Erkrankungen sollten mitbehandelt werden. Das Fibromyalgie-Syndrom führt weder zur Invalidität (z. B. Rollstuhlpflichtigkeit), noch ist die Lebenserwartung herabgesetzt.

Behandlungsmöglichkeiten

In der Behandlung des Fibromyalgie-Syndroms haben sich vor allem ein individuell angepasstes Ausdauertraining und eine begleitende Psychotherapie als wirksam erwiesen. Medikamente werden nur unterstützend für eine begrenzte Zeit eingesetzt. So können beispielsweise bei einem Teil der Patienten bestimmte Antidepressiva dazu beitragen, eine gewisse innere Distanz gegenüber dem Schmerz zu entwickeln und dadurch den Schmerz nicht mehr so intensiv zu empfinden. In der Therapie geht es meist nicht um Schmerzfreiheit, sondern um den Abbau von Vermeidungsverhalten und den Aufbau körperlicher und sozialer Aktivität. Es hat sich gezeigt, dass die Festlegung von kleinen und realistischen Therapiezielen dazu beiträgt, die Hilflosigkeit, in der viele Betroffene gefangen sind, zu überwinden. Grundsätzliches Ziel ist es, je nach dem Möglichkeiten des Betroffenen, die Beschwerden zu lindern durch eigene Aktivitäten, den eigenen Fähigkeiten angepasstes Ausdauertraining, Krafttraining in Maßen, Funktionstraining, meditative Bewegungstherapie, Entspannungsverfahren, Stressreduktion oder Schmerzbewältigungstraining. Voraussetzung hierfür ist es zunächst, die eigenen Belastungsgrenzen zu erkennen und zu akzeptieren. Im nächsten Schritt geht es in der Psychotherapie darum, den bestehenden Spielraum zu nutzen und später schrittweise zu erweitern sowie die eigenen Stärken und Kraftquellen wiederzuentdecken. Wenn der Schmerz das ganze Leben bestimmt, ist es nicht einfach, den Blick auf eigene Kraftquellen zu lenken, deshalb aber umso wichtiger.

Bei schweren Verläufen eines Fibromyalgie-Syndroms haben sich sogenannte multimodale Behandlungsprogramme bewährt, bei denen aufeinander abgestimmte medikamentöse, physiotherapeutische und psychologische Verfahren eingesetzt werden.

Autor: Martin von Wachter